Am Meisten reizt mich das Sammeln... : Interview Photo Scala 2009 / 12

„Am meisten reizt mich das Sammeln!“

Der Berliner Künstler Nikolas Tantsoukes fertigt Fotocollagen, wie man sie sonst nicht findet: originell, ungesehen und von erlesener Raffinesse. Wir sprachen mit ihm über seine Arbeitsweise:

 

photoscala: Herr Tantsoukes, um es mal vorsichtig auszudrücken: Die Technik der Foto- oder Papiercollage ist eigentlich ziemlich out. Was bewegt Sie, im Zeitalter des digitalen Morphings ganz traditionell zur Schere zu greifen?

 

Nikolas Tantsoukes: Ziemlich out? Oh, das überrascht mich aber. Vielleicht sollte ich dann ab sofort einen Computer kaufen und schnellstens auch digital arbeiten … NEIN! Ich liebe das analoge Arbeiten! Die Collage-Technik ist ein wundervolles, altes Handwerk, welches man in jahrelanger Arbeit lernen muss – dafür gibt’s wenig Schnellkurse! Ein Schnitt zuviel – und das Bild ist irreparabel verändert – nix da: einige Schritte zurückgehen und das Teil nochmal ausschneiden duplizieren oder so … Das hat nicht allzu viel mit Spontanität zu tun. Auch liebe ich die Haptik des Papiers – kein digitales Ergebnis kommt dem Analogen gleich. Manches Mal habe ich unbeabsichtigt ein Bildelement zerschnitten – aber erst dadurch kam ich dann zufällig zu einer wirklich optimalen Lösung – wie langweilig, hin- und her zu klicken, bis es mir irgendwann mal passt …

photoscala: Ihre Arbeiten werden – auch mangels Vergleichbarem in der Gegenwart – oft mit der Avantgardekunst des 20. Jahrhunderts verglichen. Mit den „Dada-Monteuren“ John Heartfield, George Grosz, Max Ernst oder Hannah Höch. Was bedeuten Ihnen diese Künstler?

 

Nikolas Tantsoukes: Das sind alles liebe Freunde von mir, und große Vorbilder – ganz klar! Als kleines Kind liebte ich die Collage-Bücher von Max Ernst „Une semaine de bonté“ und „Das Karmelienmädchen“. Meine Oma und ich haben uns damals oft zusammen die wundervollen Bilder angesehen. Dies waren meine ersten Begegnungen mit der Collage und ich habe damals einige kindliche Collagen mit Bildern aus Versandhauskatalogen gemacht. Die existieren heute noch …

photoscala: Ohne allzu philosophisch werden zu wollen. Die Collage ist eine Kunsttechnik der Avantgarde des 20. Jahrhunderts, welche fremde Wirklichkeiten zusammenbringen wollte. Ein Prinzip, das auf die Filmtheorie Sergej Eisensteins und Wselowod Pudowkins zurückging – ein Versuch, den Mythos des autonomen Kunstwerks zu desavouieren. In welchem Verhältnis steht ihre Kunst zu dieser Tradition?

Nikolas Tantsoukes: Sprekke Sie deutsz?!?

photoscala: Naja, ich ziele ab auf die Frage nach der Originalität. Indem Sie Bilder aus der Medienwelt, aus Zeitungen und Zeitschriften benutzen, sagen Sie doch: Ich muss keine Bilder mehr selbst fotografieren oder malen oder zeichnen! Es ist ja alles schon da! Ich meine: In welchem Verhältnis steht ihr künstlerisches Endergebnis zum Ausgangsmaterial?

Nikolas Tantsoukes: Da haben Sie schon recht – alles ist bereits vorhanden, was ich für meine Arbeit benötige. Müsste ich immer alles zuvor selbst fotografieren oder selber zeichnen, hätte ich schon alleine durch den Mangel an Zeit viel weniger Gelegenheit, mich kreativ auszutoben! Zudem weiß ich ja von vorne herein gar nicht, welches Teil oder Thema ich beim nächsten Bild benötige, da meine kreative Arbeit extrem spontan ist. Meistens betrachte ich ein Foto in Büchern oder Magazinen und dann habe ich viele Ideen zur Gestaltung eines Bildes. Das vorhandene Bildmaterial beeinflusst also meine Kreativität ganz entscheidend …

photoscala: Sie haben eine besondere Zuneigung zur Architektur. Oft setzen Sie ihre Protagonisten in surreale, phantastische Stadtansichten. Diese tragen Züge einer utopischen Architektur …

 

Nikolas Tantsoukes: Nix utopisch – kommen Sie doch gerne mal nach Berlin, und wir machen einen kleinen Spaziergang … oder in Köln – da sieht es haargenau so aus, wie auf meinen Bildern!

photoscala: Was ist es eigentlich, was Sie an der Technik der Papiercollage reizt? Das handwerkliche Arbeiten? Das Schneiden und Kleben?

Nikolas Tantsoukes: Am meisten reizt mich das Sammeln! Das Kleben ist nur der letzte Arbeitsgang von vielen vorherigen Schritten: Zuerst trenne ich Seiten aus Büchern und Magazinen heraus, die mich irgendwie besonders ansprechen. Anschließend sortiere ich diese thematisch, etwa nach Personen, Landschaften, Gebäuden oder Grafischem. Seltenst wird das komplette Bild verwandt, sondern meistens komplett zerschnitten, zum Beispiel Köpfe, Augen, Münder, Haare, Arme und Beine, Häuser … Alle diese Elemente sortiere ich dann einzeln in kleine Kistchen, etwa Kopf links, Kopf rechts, Kopf Frau, Kopf Mann, Hände offen, Hände geschlossen. Wenn man dann noch bedenkt, dass dies alles auch noch in Schwarzweiß wie auch Farbe erfolgt, kann man sich vielleicht ein Bild machen, wie viel Arbeit es bedeutet, ehe man überhaupt mit dem Kleben beginnen kann! Das erfordert wirklich viel Disziplin, ist aber in höchstem Masse notwendig, sonst blättert man schon mal wegen eines benötigten Teiles tagelang in Hunderten von Bildbänden rum. Genau hierin liegt für mich der größte Reiz. Oder klingt das jetzt zu kompliziert?

photoscala: Nein, nein, das klingt vor allem nach sehr viel Arbeit! Wo genau finden Sie denn das „Rohmaterial“ für Ihre Bilder?

Nikolas Tantsoukes: Das Material stammt hauptsächlich aus alten Bildbänden der 30er bis 60er Jahre. Ich sammle seit vielen Jahren – und alle Freunde und Verwandte sammeln fleißig mit. Es vergeht kaum eine Woche, in der ich nicht einige neue Bücher bekomme.

photoscala: Sie haben sich für eine sehr klassische Präsentation entschieden – gerahmt, mit Passepartout. Warum?

Nikolas Tantsoukes: Ich habe mehrmals mit der Präsentation meiner Bilder experimentiert. Von der Präsentation auf Diasec über die Montag auf Holz. Die klassische Rahmung mit entspiegeltem Glas rückt meine Arbeiten am effektivsten ins rechte Licht und unterstreicht den Unikat-Charakter einfach.

photoscala: Auffällig ist Ihr Faible für poetische Bildtitel wie „Der böse Onkel / Euch wird das Lachen schon vergehen“ oder „… und sie war fest entschlossen, die Stadt für immer zu verlassen …“. Wie wichtig sind Ihnen die Titel?

 

Nikolas Tantsoukes: Wichtig? Das ist von Serie zu Serie verschieden. Die von Ihnen genannten Titel stammen aus der Werkserie: „Stadtleben“, in der ich durch die Bildtitel eine komplette Geschichte erzählt habe. In der darauf folgenden Serie „Land unter!“ hießen dann die Bildtitel stets nur „Sequenz 1 – 23“ – also nicht besonders poetisch. Ich denke, ein Bildtitel sollte generell den Charakter und die Aussage eines Bildes unterstreichen – ist aber nicht immer zwingend notwendig. Allerdings gebe ich zu, dass ich es gar nicht mag, wenn ich in Ausstellungen mehrmals „Ohne Titel“ lesen muss. Das wirkt phantasielos auf mich.

photoscala: Volker Gebhardt erkannte in Ihren Arbeiten „Traumbilder“. Woher rührt das Surreale in Ihrer Kunst?

Nikolas Tantsoukes: Darüber habe ich mir bisher nicht viele Gedanken gemacht. Wahrscheinlich ist es spannender, als nur ganz realistisch zu arbeiten. Das Surreale hat einfach mehr Charme und Witz, sag ich jetzt einfach mal so. Dies ist meine Bildsprache: Punkt.

photoscala: Einige Ihrer Arbeiten mag man als Kritik an einer Stadtarchitektur begreifen, in welcher das Individuum droht, verloren zu gehen. Wie empfinden Sie unsere zeitgenössischen Stadträume – zum Beispiel ihre Heimat, die Stadt Berlin?

Nikolas Tantsoukes: Nein, meine Arbeiten sind eigentlich nicht als Kritik gedacht – vielmehr inspiriert mich Berlin jeden Tag aufs Neue – alleine schon bei einer Fahrt im Bus bekommt man so viele Eindrücke – und das setze ich Zuhause einfach um. Ich liebe diese wilden Stadtarchitekturen mit vielen Wolkenkratzern und fühle mich pudelwohl – auch die vielen, manchmal auch etwas skurrilen Gestalten in Berlin und anderswo sind eine große Inspiration für mich.

Das Interview führte Marc Peschke.
 
 
Kontakt:

Nikolas Tantsoukes
Goebenstr. 10
10783 Berlin
Telefon 0176-29897817
 

 

 

Alle Arbeiten mit freundlicher Genehmigung von Nikolas Tantsoukes

 

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